- Friedensbewegung in Deutschland
- Friedensbewegung in DeutschlandAnfang der 80er-Jahre entstand in der Bevölkerung westlicher Staaten eine politische Massenbewegung, die angesichts der weltweiten nuklearen Aufrüstung die Regierungen zur Friedenssicherung durch Rüstungsstopp, Rüstungskontrolle und Abrüstung drängte. In der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich die Friedensbewegung in Reaktion auf den Ende 1979 verabschiedeten NATO-Doppelbeschluss, der für den Fall erfolgloser Verhandlungen mit der Sowjetunion die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen - überwiegend in der Bundesrepublik - vorsah. Die nur locker organisierte Friedensbewegung umfasste ein breites Spektrum von Gruppen unterschiedlicher sozialer und politischer Orientierung: u. a. kirchliche und gewerkschaftliche Gruppen, Initiativen von Wissenschaftlern, Ärzten, Juristen, Parteien wie die Grünen, die DKP und Teile der SPD, auch Gruppen der CDU. Stark verflochten war die Friedensbewegung mit der Umweltschutz-, der Frauen- und der alternativen Bewegung. Mitentscheidend für die Breitenwirkung in der Bevölkerung wurden die vielen lokal bezogenen Aktivitäten der örtlichen Friedensgruppen sowie die Tatsache, dass die Anhänger der Friedensbewegung aus nahezu allen sozialen Schichten stammten.An den großen Demonstrationen in Bonn nahmen 250 000 Menschen (am 10. Oktober 1981) bzw. 300 000 bis 350 000 Menschen (10. Juni 1982) teil. Kurz vor der Schlussentscheidung über die Raketenstationierung veranstalteten die Gruppen der Friedensbewegung im Oktober 1983 im ganzen Bundesgebiet eine Aktionswoche, an der sich nach Schätzungen der Veranstalter rund 3 Millionen Menschen beteiligten und deren Abschluss mehrere überregionale Demonstrationen und eine geschlossene Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm bildeten.Der starke Widerhall, den die Friedensbewegung in der Bevölkerung fand, entstand auch dadurch, dass die lange verdrängte Angst vor der atomaren Katastrophe wieder bewusst wurde. Die Aussagen zahlreicher Wissenschaftler über die Folgen eines atomaren Konflikts, von Ärzten über ihre eigene Hilflosigkeit in einer nuklearen Katastrophe fanden öffentliche Resonanz. Die Annahme, dass die technischen Vorkehrungen gegen einen zufällig ausgelösten Atomkrieg vollkommen zuverlässig seien, stieß zunehmend auf Zweifel. Hinzu kam, dass aus Kreisen der amerikanischen Regierung Überlegungen bekannt wurden, die auf die Führbarkeit und Gewinnbarkeit eines Atomkrieges sowie auf die Begrenzung einer solchen Auseinandersetzung auf Europa hinausliefen. Die Vorstellung, dass in einem atomaren Konflikt, über den in Washington und Moskau entschieden würde, die beiden deutschen Staaten zuerst und am stärksten betroffen sein würden, verlieh dem Protest gegen die Rüstung zusätzliche Schubkraft.Auch wenn die Friedensbewegung zunächst scheiterte und ihr vordringliches Ziel mit dem ergebnislosen Abbruch der Genfer Verhandlungen und mit der Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen seit November 1983 nicht erreichte, waren ihre politischen Wirkungen doch beträchtlich. Aus bescheidenen Anfängen war eine Massenbewegung entstanden, die in der Opposition zu sämtlichen vor 1983 im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien stand und die schließlich die öffentliche Diskussion über die Sicherheitspolitik bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes maßgeblich prägte.In der DDR kam es als einzigem kommunistischem Staat zu nennenswerten Ansätzen einer eigenständigen Friedensbewegung, die neben den offiziellen, ausschließlich gegen die westliche Rüstung gerichteten Friedensaktivitäten stand. Hier arbeiteten meist christlich geprägte Friedensgruppen (»Schwerter zu Pflugscharen«) für Abrüstung in Ost und West; sie unterlagen jedoch unterschiedlichen Repressionsmaßnahmen seitens des Staates.
Universal-Lexikon. 2012.